# Moderne Zeiten
„Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.“ J.W. von Goethe
Gerade habe ich im Pear-Store das neuste i-Fon XY-650-SL.05 beim Summer Sale erstanden und versuche seit einer gefühlten Ewigkeit meine 158 Friends unserer Facebook-Community zu erreichen, doch ohne jedes Feedback. Entweder die sind alle beim Shoppen oder zum Clubbing bei einer Afterwork Party. Ich suche dringend nach einem Partner für das kommende Outdoorweekend. The Weather App sagt einen super Indian Summer voraus und ich bin fit for Adventure. Also wieder einmal Solo on the Rock, denke ich so. Trotzdem tippe ich fix paar Whatsapp´n.
In meinem i-Bed ist schnell ein passender flowiger Singletrail auf der App: „www.Uffbassen und ni uff de Gusche flieschen.de“ gefunden, der auch zum Hiken gut geeignet ist. Take the long way. Ich packe gleich am Abend mein gesamtes Mountain Equipment zusammen. Ein cooles Outfit zum Chillen auf der Hütte darf natürlich nicht fehlen. Am nächsten Morgen geht´s zeitig los, schon vorm Aufstehen. Shit, am Backshop steht bereits eine lange Schlange. Gegen halb zehn habe ich dann endlich mein Sandwich und den Coffee ToGo. Ich will gerade in meinen noblen babyblauen Suffi steigen, ein ganz neues Modell der Road-Driver-Edition mit allen Features des Jahrgangs 2022, als Patrick durchklingelt. „He Alter, meine Jacqueline hat ihren i-Sprung – da fahre ich lieber mit dir weg“. In´s Navi gebe ich Patricks Adresse ein und das Head-up-Display zeigt mir die Fahrtroute an. Ich muss nur einmal abbiegen und stehe 278 Meter später vor seiner Haustür. Sein kleiner Rucksack ist ruckzuck verstaut und los geht es.
Inzwischen ist es elf Uhr und the Road ist total überfüllt. Wo wollen die People nur alle hin? Ich muss ganz schön kurven um vorwärts zu kommen. Nichts mit cruisen und take it easy! Ich drücke die DSC-Taste und schalte nach 2,5 Sekunden in den agileren DTC-Modus um. Das ACC (Abstandsregelsystem) muss ich ausschalten, sonst geht nix voran.
Quietsch – Brems – Steh! Warum zieht denn der alte Golf-1-Grufti in meine Spur? Ohne EBA und BAS, was durch ein neues RSC unterstützt wird, hätte ich das nicht ermeckert. Mit meinem Electroic Stability Control System (früher ESP) inklusive ABS, gekoppelt mit ASR konnte ich gerade noch abbremsen und sehr knapp rechts vorbeiziehen. Glück gehabt!
Autobahnende – Stau – logisch bei den vielen Sonntagsfahrern. Ich stehe in der linken Spur, als der Golf-1-Grufti langsam rechts an mir vorbeirollt. Ich kriege hier fast ´nen Börnaut. Gegen 13 Uhr erreichen wir den Parkplatz. Alles total überfüllt. Gott sei Dank kommen gerade die ersten Wanderer von ihrer Tour zurück und ich finde eine enge, für meinen Suffi eine viel zu enge Lücke zum Parken, leider nicht im Schatten. Beim Aussteigen knallt meine Tür gegen die Schrottlaube neben mir. Das der überhaupt bis hierhergekommen ist? An meiner Tür ist zum Glück alles ok.
Auf dem Parkplatz ist es sehr heiß und es stellt sich mir die Frage des Styles. Ziehe ich nur die leichte Manni-Courmayeur-Advanced-Pants Softshellhose mit 437g Gewicht an, oder die Hochvariable Doppelzipp-Trekkinghose aus K-1000 öko zum Abzippen? Die wiegt allerdings 154 Gramm mehr! Beim Shirt habe ich das gleiche Problem. Das kurze Merino-Tencel T-Schirt oder das Long Sleepe Honlly Sweater mit bewährter Dri-Release-Technologie und seinem super Feuchtigkeitsmanagement. Bei den Hosen brauche ich so etwas noch nicht. Ich nehme das LSHS – in Coffee-Farbe. Da ist sowieso schon ein Coffeefleck von meinem Coffee ToGo drauf, den ich mir bei dem Bremsmanöver wegen dem Golf-1-Grufti über den Latz geschüttet hatte. Nächste Frage: Welche Shoes? Soll ich die All-Terrain-Running-Shoes, das sind die leichten Hiker, oder die schwereren Boots nehmen? Ich wähle die Keenwag-Paradiso-MFS-GTX-Surround aus der dritten Surround-Generation, die im letzten Jahr mit dem Outdoor Industry Award preisgekrönt wurden. Der Vorteil bei diesen Boots ist der Spacer, durch den der Schweiß der Fußsohlen seitlich abgeleitet wird. Vielleicht funktioniert es, denn ich habe die guten Tourensocken zu Hause vergessen und nur meine weißen Tennissocken an. Wird hoffentlich keiner merken. Ich packe noch die Hardshelljacke mit der Z-Knut-Backer Technology ein und die Softschelljacke lasse ich am Auto. Sonst wird mein Backpack zu schwer.
Ja dieses Backpack ist auch nicht ohne. Der hat einen integrierten Recco-Reflektor in Kombination mit dem neuen Helicopter-Rettungssystem SAR11, was ein schnelleres Orten ermöglicht. Man kann nie wissen!
Der Rahmen vom Tragesystem ist aus russischer Kiefer. Der Gesamt-CO²-Fußabdruck des Backpacks reduziert sich damit um 11%. Was tut man nicht alles für die Umwelt! Das kleine Stück Känguruleder, welches als Accessoires auf die Deckelklappe aufgesetzt wurde, stört mich da nicht so sehr. Ich bin ja kein Veganer. Mein Backpack kann aber noch ein weiteres Highlight aufweisen. Bei den letzten Satch-Spray-Days hat der Backpack-Graffiti-Performer Alfons, mein Wunschgraffiti mit einem sehr individuellen Touch auf mein Backpack gesprayt – ein Edelweiß.
Die anderen Gadgets hatte ich am Abend vorher zu Hause verstaut, wie zum Beispiel das i-walk-solar-powerbank-XL, das Ladegerät für mein i-Fon.
Über meine Unterwäsche werde ich ein anderes Mal berichten. Eines ist aber klar – die ist vom Feinsten.
Doch Halt! Als letztes muss ich meine Felix®4-FR-RUBIN, eine edle Multisportuhr mit integrierter Smartwatch – ein Must-have - auf die Ausgangshöhe und die Startzeit einstellen. Ich drücke auf Start:
Es ist jetzt genau 13:47 Uhr und 899 Meter über N.N.
Patrick trampelt nervös auf der Stelle. Er ist seit einer halben Stunde abmarschbereit. Kein Wunder, er muss auch nicht so viel zusammenpacken, wie ich. Patrick hat nur eine einfache, etwas billigere Ausrüstung.
Jetzt kann´s losgehen. Der Weg zieht gleich steil nach oben. Hinter uns hören wir das Grollen eines herannahenden Gewitters. Ich bin etwas verwundert, denn eigentlich war das Gewitter erst für den frühen Nachmittag angekündigt. Es beginnt langsam zu tröpfeln und wir beschleunigen unser Tempo. Zwischendurch noch ein großer Schluck aus der Energydrinkdose genommen und ein Stück vom Natural-Energy-Powerriegel in den Mund geschoben. Trotzdem löst meine Felix®4-FR-RUBIN ein Emergency Signal aus, ich bin überpowert – meine Pulsfrequenz ist um 5 Pulsschläge zu hoch. Hoffentlich geht das gut! Die Hütte ist aber glücklicherweise in Sichtweite. Endlich erreichen wir die sichere Unterkunft auf 1300m.
Es ist jetzt genau 15:43 Uhr und exakt 401 Meter höher als der Parkplatz.
Cool! Wir haben damit die angegebene Aufstiegszeit von 2 Stunden glatt um 4 Minuten unterboten. Ich gehe erst einmal zum Duschen. Es ist in dieser Location alles sehr einfach gehalten, aber das sind wir Naturfreaks ja so gewohnt. Patrick macht inzwischen die Übernachtung klar, die ich während der Autobahnfahrt per Whatsapp vorreserviert hatte. Allerdings müssen wir unser Zimmer mit zwei anderen teilen. Es sind zwei Girls – sehr schön denke ich mir noch, als die beiden gerade um die Ecke biegen. Sie sind von ihrer scheinbar großen Klettertour ganz schön abgekämpft und verschwitzt. Ohne zu Duschen gehen sie sehr früh ins Bett und am nächsten Morgen brechen sie gegen fünf Uhr zur Nordwand der Machospitze auf. Also, wenn alle Girls so wären? Wir schlafen etwas länger aus. Nach dem Duschen haben wir Glück - es ist zwanzig Minuten nach neun Uhr - dass uns das Küchenpersonal ein Breakfast zubereitet. Allerdings schauen die etwas komisch daher. Vielleicht sind denen meine Tennissocken aufgefallen. Vor unserem Abmarsch erkundigen wir uns nach den möglichen Gefahren bei der Besteigung der Gigerlspitze. Die Wirtin meint nur etwas gelangweilt, dass wir auf dem Forstweg immer schön rechts gehen sollten, damit uns die Mountainbiker nicht überfahren. Auf dem Forstweg, wir gehen hintereinander und halten uns scharf rechts, macht das Laufen keinen richtigen Spaß und wir zweigen deshalb in einen schmalen Pfad ab, der sehr steil direkt zum Gipfel führen müßte. Teilweise sind rot-weiße Absperrbänder zwischen den Bäumen gespannt und die Bäume selbst sind mit Schaumstoffmatten gepolstert. Wie aus dem Nichts kommend schießen StarWars ähnliche Gestalten auf ihren Downhill-Freeride-Fullsuspensions Mountainbikes an uns vorbei. Schock!
Erst jetzt bemerke ich, dass wir uns auf einem Downhill-Trail befinden. Bei der nächsten Gelegenheit kehren wir wieder auf den Forstweg zurück und erreichen nach 57 Minuten sicher den Gipfel auf 1499m Höhe.
Der Hardcore der beiden letzten Tage wird am Gipfelkreuz durch einen galaktischen Ausblick belohnt. Vor uns breitet sich eine Patchwork-Landschaft aus, die man in der City so nicht sehen kann. Supergeil!
Wir machen eine relaxed Summit Rest. Im Hintergrund surren leise die Seilrollen der Cabelcar und ein Song von DJ Ötzi schallt aus den Boxen des Berggasthofes Almhütte herüber. Echt voll nice. Das Knattern eines Helicopters durchbricht die Stille. Vor der Nordwand der Machospitze bleibt er im Schwebeflug stehen. Die zwei crasy Girls aus unserem Zimmer wollten doch dort hin und jetzt haben sie wohl die Rettung rufen müssen? Doch nicht so cool gelaufen, was? Plötzlich dreht der Heli ab und fliegt direkt auf uns zu. Oh Gott! Hoffentlich hat mein Rettungssystem SAR11 kein Signal gesendet und einen Falschalarm ausgelöst!
Ich schaue auf die Kontrollleuchte am Tragesystem meines Backpacks. Sie blinkt gleichmäßig grün: „an–aus-an-aus“. Beim Vorbeiflug sehe ich dann, wie aus dem Heli gefilmt wird. Also kein Falschalarm. Alles ist gut! Vor dem Abstieg will ich schnell das obligatorische Gipfel-Selfie machen, denn leider kann ich vom Gipfel aus nicht mit meinen Friends skypen. Dummerweise habe ich meinen GoXtreme X-Tender Selfie Stick im Auto vergessen. Wie sollen wir jetzt unser Selfie mit Viktorypose schießen?
Patrick meint nur, dass ich einen von den über hundert Gipfelbesuchern fragen sollte. Nee, von einem Seilbahn-Halbschuh-Touristen lasse ich mich nicht auf DIESEM GIPFEL fotografieren. Notgedrungen knipse ich das Selfie aus der Hand und poste es an meine Facebook-Community. Sofort kommen viele Likes und Feedbacks, wie etwa „Wir freuen uns mit Euch“, „Super Leistung!“, „toller Erfolg!“ oder „meine Oma war auch schon da oben!“. Irgendwie macht es mich sehr stolz, und zufrieden steigen wir zu meinem Auto ab. Auf der Heimfahrt treffen wir den Golf-1-Grufti wieder. Er steht mit kochendem Kühler auf dem Standstreifen der Autobahn. Ich hänge seinen Oldie bei mir an und mit 170 km/h schleppe ich ihn bis vor seiner Haustüre. So schnell war der noch nie unterwegs gewesen. Ja, wir Naturfreaks halten eben immer zusammen.
Am Abend läuft gerade die Glotze, wie eigentlich jeden Abend bei mir. Die News sind langweilig, auch wie jeden Abend, doch heute werden geile Movies gezeigt. Ein Helicopter fliegt über die Mountains und bleibt vor einer hohen schattigen Wand stehen. Ach ja, es werden die beiden Girls in der steilen Nordwand der Machospitze gezeigt. So spektakulär ist das jetzt auch nicht. Die sind sogar mit einem Seil festgebunden. Das kann man ganz genau sehen. Der Heli kippt zur Seite ab und fliegt direkt zur Gigerlspitze zu. JA dort - genau dort sitze ich - Ich bin im Fernsehen! Eigentlich muss man gar nicht mehr in die Berge fahren, denke ich mir so, wenn man sich das am Abend in der Glotze anschauen kann. Das muss ich sofort meiner Facebook-Community posten.
Im Jahr 1956 hätte man die Geschichte etwas anders erleben können:
Seit zwei Wochen arbeiten Karli und ich bei einem Spengler in München. Wir müssen erst etwas „Westgeld“ verdienen, um unseren Alpenurlaub finanzieren zu können. Für Sonnabend planen wir eine Tour in den bayrischen Alpen. Das Wetter soll sehr schön und stabil werden. Der Chef hat uns dankbarerweise freigegeben, denn eigentlich müssten wir bis Mittag arbeiten. Halb fünf sitzen wir im Zug und fahren Richtung Berge. An der Bahnstation verlassen wir diesen, durchqueren eine Autobahnbaustelle und beginnen mit dem Anstieg. Nach einer Stunde erreichen wird den Einstieg zur Nordwand der Machospitze. Ich ziehe meine schweren, mit Draht geflickten Nagelschuhe aus und beginne barfuß zu klettern. Zügig steigen wir durch die 600m hohe etwas brüchige Wand. Die wenigen Haken sind nicht sehr vertrauenserweckend und das 40m Hanfseil läuft schwer durch die Karabiner. Gegen 4 Uhr erreichen wir den Gipfel und haben wahrscheinlich die fünfte Begehung der Nordwand geschafft. Stolz reichen wir uns zum Berg Heil die Hände. Dann steigen wir ab. Entlang eines Baches geht es talwärts. Kurz vor der Hütte tauchen unsere Körper in eine glasklare Gumpe ein. Das Wasser ist recht kalt, trotzdem ist es einfach nur herrlich. Die Hüttenwirtin hat uns zwei „Russen“ schon kommen sehen und zwei kühle Halbe gezapft, die sehnsüchtig auf uns warten. Das Lager war schnell gerichtet und wir nehmen vor der Hütte Platz. Zwei junge hübsche Dirndl setzen sich zu uns in die Abendsonne und wir beschließen gemeinsam, am nächsten Tag zur Gigerlspitze aufzusteigen. Kurz vor zehn Uhr erreichen wir den Gipfel und genießen das herrliche Bergpanorama und die himmlische Ruhe.
Mit großer Sorge betrachten wir ein Bauschild, das mit geschwollenen Sprüchen den geplanten Seilbahnbau und den Bau eines Bergrestaurants ankündigt. Soll das die Zukunft in den Bergen sein? Wir glauben es nicht!
Etwas beunruhigt steigen wir vier ins Tal ab. Während der Heimfahrt verabreden wir uns für die nächste Bergtour am kommenden Wochenende, und es sollten noch viele gemeinsame Bergfahrten folgen.
Nur auf die Gigerlspitze sind wir nie wieder gestiegen, denn so wie dort hatten die Modernen Zeiten gerade erst begonnen.
Berg Heil!
Knut Israel
Die Personen, die Handlung, das Multifunktionsoutdoorequipment und die Location sind frei erfunden. Aber leider gibt es wirklich solche Zeitgenossen und ich hoffe sie bleiben in der Stadt.
Anmerkung: Berg Heil ist heute leider auch verpönt, von „möchtegern Historikern und Historikerinnen“ deren Geschichtswissen nur bis 1933 zurück reicht.
Kleines Lexikon der neuen deutschen Sprache
„#“ - ist das Zeichen „Hashtag“ = für die Schlagwortsuche
Pear-Store - Ladengeschäft mit der angebissenen Birne
„i-„ - wird Ei gesprochen (z.B.: Ei-Fon)
App - Anwendungssoftware von der man veräppelt wird
Whatsapp´n - früher SMS schreiben, davor Brief schreiben, noch früher Steinplatte mit Keilschrift meißeln
hiken - schnell wandern
chillen - abhängen – früher ausruhen
Suffi - SUV = großes umweltverpestendes Stadtauto mit oder ohne Allrad
Gadgets - zum Mitführen geeigneter kleiner Gegenstand, teilweise weniger sinnvoll
Selfie - Selbstfotografie bei der jährlich mehr Menschen verunglücken, als wie von Haien gefressen werden.
Facebook - soziales Netzwerk in dem sich die Menschen alles mitteilen müssen, was eigentlich keiner wissen will
posten - Nachricht versenden, ohne Briefmarke!